Rudolf Steiner

Als 27-jähriger, 1888, stellt Rudolf Steiner eine jugendliche Programmatik auf, die, erfrischend wie sie ist, für alles weitere stehen kann: „Nur das für wahr halten, wozu uns unser eigenes Denken zwingt. Und nur in solchen staatlichen und sozialen Gemeinschaften leben, die wir uns selbst schaffen.“ Und wie sieht es heute aus? Rudolf Steiner eröffnet ein Kontinuum innovativer Gegenwart. 

Sein Lebensweg beginnt am 27. Februar 1861 im damals ungarischen Kraljevec. Nach einer Kindheit an den Bahngleisen – sein Vater war Stationsvorsteher der Österreichisch-Ungarischen Bahn – studiert er an der Technischen Hochschule in Wien naturwissenschaftliche Fächer, besucht Vorlesungen in Literatur und Geschichte und vertieft sich in die Philosophie. Er ist Hauslehrer und Redakteur der „Deutschen Wochenschrift“ in Wien und gibt neben seiner philosophischen Promotion Goethes Naturwissenschaftliche Schriften in Weimar heraus. 

1893 erscheint sein anthropologisches Hauptwerk: „Die Philosophie der Freiheit“. In Freundschaften und Bekanntschaften – von der Frauenbewegung über die Literatur, von Kunst und Philosophie bis zur Theosophie – erweitert er beständig seinen Horizont im zeitgenössischen Kontext.


1897 zieht er nach Berlin zur Herausgabe des „Magazins für Litteratur“, ist Redakteur der „Dramaturgischen Blätter des Deutschen Bühnenvereins“, übernimmt die Moderation des Künstlerforums „Die Kommenden“ und unterrichtet an der „Arbeiterbildungsschule“. Er ist Teil des Bohème-Lebens im Berlin der Jahrhundertwende, immer in wirtschaftlich bedrängten Verhältnissen. Daneben publiziert er eigene Abhandlungen, insbesondere zur Philosophie und Geistesgeschichte. 

1901 schreibt er Artikel gegen den Antisemitismus und hält den Vortragszyklus „Das Christentum als Mystische Tatsache“. 

Mit Marie von Sivers, seiner späteren Frau, übernimmt er den Aufbau der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft. Über 6.000 Vorträge wird er bis zu seinem Tode halten. 

1904 erscheint das Buch „Theosophie“ und in einer fortgesetzten Schriftenreihe „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“. 1909 veröffentlicht er «Die Geheimwissenschaft im Umriss». Diese anthroposophischen Grundschriften bauen kompromisslos auf die Geistesgeschichte des christlichen Abendlandes. Der endgültige Bruch mit der Theosophischen Gesellschaft ist unausweichlich, zumal als er 1907 auf dem Münchner Kongress der Theosophischen Gesellschaft seine Ideale einer „Kulturmission“ darlegt. 

In der Folge werden von 1910–13 seine Mysteriendramen in München aufgeführt. 1912 gibt er den ersten Kurs zu einer neuen Bewegungskunst: die Eurythmie entsteht. Im selben Jahr wird der Bau eines zentralen und repräsentativen Gebäudes für die Anthroposophie in Dornach begonnen, und spätestens von diesem Moment an ist die Kunst in allen Disziplinen untrennbar von anthroposophischer Arbeit. 

 

Gedrängt durch das Grauen des Ersten Weltkrieges und das geistige Vakuum Mitteleuropas beginnt Rudolf Steiner 1917 seine Idee der „Dreigliederung des Sozialen Organismus“ auszuarbeiten. Sie wurde zur Bewegung – in der Arbeiterschaft, auf der Ebene hochrangiger Politiker und unter prominenten Künstlern und Wissenschaftlern. Im Zuge dieser Bewegung wurde 1919 in Stuttgart die erste Waldorfschule gegründet. Mit der Ärztin Ita Wegman entwickelt Rudolf Steiner die Grundlagen einer anthroposophischen Medizin sowie Heilmittel und ihre Herstellungsverfahren. 

 

Weihnachten 1923/24 gründet Rudolf Steiner die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft als Zusammenfluss der bereits damals internationalen Bewegung und beginnt den Aufbau der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft als ihren spirituell aktiven Mittelpunkt. In fachlich orientierten Vortragszyklen, seinen „Anthroposophischen Leitsätzen“ und den „Briefen über das Michaelmysterium“ kann der Beginn einer fundamentalen Neuformulierung der Anthroposophie gesehen werden. In seinem letzten Lebensjahr begründet er die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise; Kurse für Heilpädagogen, Ärzte, Künstler, Lehrer und Priester erweitern die Grundlagen für die Vielfalt und spirituelle Konsequenz der bis heute zunehmenden Kulturinitiativen. 

 

Am 30. März 1925 stirbt Rudolf Steiner in Dornach.

 

 

„Aus der Polarität von dem, was als ureigene Aufgabe erfahren wird, und dem, was fortwährend als Anforderung von außen herantritt, gewinnt der Lebensweg Rudolf Steiners seine Dynamik und bezeugt seine innere Einheit durch jenes Dritte, das sich in den Gegensätzen erkennt und diese fruchtbar zu machen versteht – eben das ‚Ich bin‘. Auch Erkanntes gewinnt für ihn erst Wirklichkeit und damit Wirksamkeit, wenn er es durch und durch erlitten und erlebt hat. Während er sich auf diese Weise praktische Menschenkenntnisse erwirbt, arbeitet er durch die strenge naturwissenschaftliche und philosophische Schulung ‚exoterisch‘ auf jenen Moment hin, aus dem heraus sich dasjenige, was er gleichzeitig ‹esoterisch› erkundet, in klarer Methodik und Begrifflichkeit zur Darstellung bringen lässt.“

 
Taja Gut, Mitarbeiter des Rudolf Steiner Archivs, Dornach

 


„Steiner ist ein Meister des Willens. Wille ist nicht nur Tun, sondern der Moment, wo ich meine Richtung ändere, dieser Punkt der Umkehr, das Erwachen im Willen, das mich vor der Routine bewahrt.“

 
Walter Kugler, Leiter des Rudolf Steiner Archivs, Dornach

 


„Insgesamt suchte Rudolf Steiner alle Gebiete des Lebens und der Wissenschaften ‚ganzheitlich‘ im Sinne des von ihm entwickelten Welt- und Menschenbildes zu deuten.“ 

 
Brockhaus-Lexikon

 


Literatur

Rudolf Steiner, Mein Lebensgang, GA 28, Dornach 2000 

Christoph Lindenberg, Rudolf Steiner, eine Biographie, Stuttgart, 1997

 


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